Die Wertmaximierung im Kampf gegen Deadlines und Featuritis

In unserem Alltag begleiten wir viele Kunden bei ihrer digitalen Transformation. Gerade bei größeren KMUs oder Konzernen geht es vor allem um das Einsammeln und Umsetzen möglichst vieler Anforderungen. Dabei wird häufig nicht hinterfragt, welche Anforderungen einen Mehrwert im Unternehmen generieren. Bei einem unserer Kunden hat diese Verhaltensweise sogar einen Namen erhalten: Featuritis. Wir meinen: eine durchaus passende Bezeichnung.

Aus unserer Sicht ist es für jedes Unternehmen essentiell, zu jeder Zeit den Mehrwert jeder einzelnen Anforderung zu ermitteln. Denn genau darum geht es beim agilen Arbeiten: der Mehrwert wird durch die Nutzung der vorhandenen Ressourcen maximiert. Doch betrachten wir die Symptome mal im Einzelnen.

Symptom #1 – Deadlines als Prio 1

Viele agil arbeitenden Organisationen kämpfen noch immer mit ihrer Schwäche zu Priorisieren. Denn natürlich wollen Stakeholder wissen, wann welche Funktion verfügbar ist und genutzt werden kann. Aus deren Sicht ist das vollkommen verständlich und nachvollziehbar. Viele Product Owner lassen sich aber genau deshalb von Terminvorgaben treiben. Da bleibt keine Zeit die einzelnen Anforderungen von Grund auf in Frage zu stellen.

Entsprechend richtet sich die Priorisierung häufig nicht nach dem Mehrwert, sondern nach fiktiven Deadlines. Werden dann die Anforderungen noch über die Hierarchie und Politik im Unternehmen durchgedrückt, geben Product Owner schnell das Ruder aus der Hand. Nicht nur die Priorität, sondern auch der Liefertermin werden dann gerne von oben aufgedrückt. Meistens sogar mit konkreten Ausformulierungen des zu liefernden Minimum Viable Products (MVP).

Die Voraussetzung für einen guten PO ist jedoch eigentlich alle Anforderungen gewissenhaft analysieren zu dürfen, um so den möglichen Mehrwert zu ermitteln. Sofern diese Rolle aber nicht das nötige Empowerment bekommt, wird es schwierig. Was kann man also tun?

Mehrwert als Stellgröße

Das einzusetzende Budget und der Mehrwert sind objektiv betrachtet eine gute Grundlage für Priorisierungen. Doch wie kann man den Mehrwert genau messen? Das ist nur bedingt möglich. Zumindest ist es in den meisten Fällen nicht einfach. Prozessoptimierungen oder Umsatzsteigerungen sind relativ gut in Euro zu beziffern. Strategische Anforderungen hingegen sind deutlich schwerer zu bewerten. Wir werden dieses Thema deshalb in einem unserer nächsten Beiträge näher betrachten.

Dabei ist es ganz gleich wie man am Ende den Mehrwert errechnet. Essentiell ist es diese Bewertungsgrundlage zu Beginn der Entwicklungsarbeiten klar zu kommunizieren. Gegebenenfalls gestützt und geschützt durch ein Mandat des Managements.

Je klarer und transparenter der Priorisierungsprozess gestaltet wird, desto objektiver werden die Entscheidungen. Nur so gewinnen die Product Owner ihr Ruder zurück.

Lieferintervall erhöhen und KPIs nutzen

Eine wirklich agile Organisation befindet sich ständig im build-measure-learn-Zyklus. Während Unternehmen im B2C-Bereich das weitestgehend verstanden haben, bewegen sich viele Organisationen aus dem B2B-Bereich noch zu sehr im „build“-Prozess.

Die Steigerung dieser Sackgasse ist zu beobachten, wenn Produkte für interne Fachbereiche oder Stakeholder entwickelt werden. Hier kann regelmäßig die Wasserfall-artige Abarbeitung von Features beobachtet werden. Und das auch noch oft in viel zu langen Auslieferungsintervallen. Fragt man dann nach den Bewertungsgrundlagen erhält man selten klare Antworten. Dabei ist es gleich auf welcher Ebene die Lösungskonzepte aufgebaut bzw. ausgeliefert werden. Wenn überhaupt ein paar Kennzahlen genannt werden, dann sind diese nicht aussagekräftig, zu pauschal oder es fehlt die regelmäßige Messung und Optimierung dieser.

Kurz gesagt: das Ziel der Wertmaximierung wird von vielen Organisationen noch nicht konsequent genug verfolgt. Die Umsetzungsgeschwindigkeit könnte, durch die Erhöhung des Lieferintervalls und die stärkere Einbindung der Stakeholder in Feedback-Prozesse, deutlich gesteigert werden. Das Festlegen von geeigneten Kennzahlen als erfolgsrelevante Steuergröße, ist hierbei genauso wichtig wie die Frage der Mehrwertmessung.

Symptom #2: Featuritis

In vielen Organisationen findet man eine Struktur vor, in der die Produkt-/Projektverantwortlichen immer auf die nächste Budgetverlängerung hinarbeiten. Was auf den ersten Blick nicht verwerflich erscheint, führt in der Praxis jedoch dazu, dass die Teams damit beschäftigt sind, möglichst viele Features zu erstellen.

Der Mehrwert der Features oder gar das Reduzieren/Einstellen der Weiterentwicklung ist oftmals keine Option.

Doch ist das richtig? Wieso sollte man ein Produkt priorisieren, wenn man die wichtigsten Anforderungen bereits umgesetzt hat? Was passiert mit den Ressourcen, wenn die Weiterentwicklung eingestellt oder zumindest heruntergefahren wurde? Diese Ungewissheit schürrt Angst.

Viele Product Owner verteidigen daher ihr Recht auf Weiterentwickelung bis zum Äußersten. Doch betrachten wir zunächst einmal die Behandlungsmöglichkeiten dieser Symptome, bevor wir die Frage der falschen Priorisierung final beantworten.

Wertmaximierung in Relation setzen

Wenn wir ein Produkt oder Projekt agil umsetzen, sollte das regelmäßige Ausliefern von genauso regelmäßigen Feedbackschleifen begleitet werden. Hier können unsere Kennzahlen helfen. In wieweit haben wir die gesteckten Ziele bereits erreicht? Lohnt es sich überhaupt noch, weiteres Geld zu investieren und in welcher Relation steht das Investment zur Weiterentwicklung (und den zu erwartenden Mehrwerten)? Produktverantwortliche stellen diese Fragen nur dann, wenn die richtigen Anreize existieren und ein entsprechendes Mindset im Unternehmen vorherrscht.

Hier ein kleines Beispiel: ein bekanntes Dax-Unternehmen lobt jährlich die erfolgreichsten Projekte aus. Auf einer Preisverleihung erhalten die Teams dann, ähnlich wie bei einer Oscar-Verleihung, einen Team-Preis. Vor ein paar Jahren war ein von uns betreutes Team der Preisträger. Das wäre nicht erwähnenswert, wenn nicht die Begründung der Verleihung für Aufsehen gesorgt hätte.

In den Augen vieler, war unser Projekt nämlich gescheitert. Nach nur 10 Sprints wurde das Projekt von Seiten des Product Owners eingestellt. Das ursprüngliche Budget von 8,5 Mio. Euro wurde größtenteils wieder zurückgegeben. Der Vorstand war von dieser Einstellung so begeistert, dass er dies als Begründung in seiner Laudatio besonders hervorhob: „… anstatt auf einem toten Esel zur reiten, ist es viel wirtschaftlicher, ein neues Pferd zu suchen.“

Die ursprüngliche Projektidee hatte sich nach den ersten Sprints als schwer realisierbar bzw. nicht wirtschaftlich herausgestellt.

Zielsysteme überdenken

Doch wie kann eine Organisation es schaffen, dass auch unpopuläre Entscheidungen wie „Projekt einstellen“ von Seiten der Mitarbeiter getroffen (oder zumindest vorgeschlagen) werden?

In unserem Fall hatten wir mit der HR ein Experiment gestartet. Wir hatten 10 Projekte ausgewählt, in denen der Product Owner daran gemessen wurde, wie viel Mehrwert er mit dem eingesetzten Budget generiert. Dazu waren folgende Schritte notwendig:

  • Definition von geeigneten Metriken (zusammen mit Team und Management)
  • Teams auffordern, ihre Messgrößen zu messen und zu visualisieren
  • Kunden/Stakeholder mussten ihre Anforderungen hinsichtlich des Mehrwerts verargumentieren
  • Empowerment des Product Owners

Wir haben in einem separaten Beitrag mal ein paar Beispiele für sinnvolle und zielführende Kennzahlen zusammengetragen.

Eines aber vorweg: eine solche Veränderung braucht Zeit.  Wenn Unternehmen keine Fortschritte dabei machen, datengetrieben zu arbeiten, können sie als Zwischenschritt eine sogenannte Nordsternmetrik definieren, messen und visualisieren.

Die Nordsternmetrik ist eine Wachstumsmetrik, die den Kundennutzen innerhalb eines bestimmten Zeitraums misst. Sie liefert Hinweise, um das Wachstum zu fördern. Die Nordsternmetrik ist vergleichbar mit dem Punktestand im Sport: Man kann ihn nicht direkt beeinflussen, sondern nur durch Änderung der Spielstrategie verbessern.

Ständige Visualisierung

Die Visualisierung der relevanten Metriken unterstützt den Veränderungsprozess bereits mit einfachen Mitteln. Wenn man zum Beispiel in jedem Teamraum einen großen Bildschirm aufstellt, auf denen mindestens die Nordsternmetrik (und idealerweise weitere Messgrößen) zu sehen sind, kann der Fokus auf die richtigen Werte gelegt werden. Selbst, wenn dies für Teams und/oder Manager aktuell nicht anwendbar ist (oder sie denken, dass es so ist), sollte sie das nicht davon abhalten, in eine datengetriebene Richtung zu steuern.

Product Owner sollten in jedem Sprint überlegen, wie die Metriken verändert werden sollten und diese danach gewissenhaft prüfen. An die Steakholder sollte viel mehr über Mehrwert-Kennzahlen berichtet werden. So heilen wir die „Featuritis“ und fördern datengesteuertes Geschäftsdenken. Aus diesem Grund sind übrigens Unternehmen wie Amazon, Netflix, Google, AirBnb, usw. so erfolgreich – sie entwickeln etwas um dann schnellstmöglich die Veränderung zu messen und zu bewerten.

Wir beobachten immer mehr, wie viele Unternehmen hierbei umdenken und in die richtige Richtung gehen. Lasst uns alles dafür tun, um ein großartiges Produkt zu entwickeln, dass nicht mit unnützen Funktionen zugepflastert ist. Es kommt darauf an, dass das Produkt bei Kunden/Usern gut ankommt. Wertmaximierung muss der entscheidende Faktor bleiben.

4 Comments

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  1. […] regelmäßigen Feedbacks bestmögliche Lösungen erreichen. Die Geschwindigkeit der Erreichung des angestrebten Mehrwerts ist erst dann […]

  2. […] das Auto – zu entwickeln. Wir hätten festgestellt, dass die ursprüngliche Idee für den User keinen größeren Mehrwert generieren […]

  3. […] Kurzem haben wir bereits über das Lean-Prinzip „Build-Measure-Learn“ geschrieben. Der Schwerpunkt dieses Artikels lag auf dem Teil des Messens, also auf der […]

  4. […] FOCUS-BUSINESS präsentiert in diesem Jahr erstmals Deutschlands Top-Berater. Wir sind dabei und wurden direkt mehrfach ausgezeichnet! Ihr findet uns unter anderem in den Bestenlisten der Fachbereiche Change-Management, Digitalisierung, Prozessberatung und Restrukturierung. […]

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